Käse ist Kulturgeschichte. Ein Interview mit Ursula Heinzelmann.

Er ist ständig und überall verfügbar. Der Supermarkt bietet uns eine riesige Auswahl. Doch wieviel wissen wir wirklich über dieses vielfältige Kulturprodukt? Was sind die feinen Unterschiede und wie wird der Käse überhaupt hergestellt? Welcher Käse gehört eigentlich auf eine klassische Käseplatte? Wir freuen uns, Deutschlands bekannteste Käseexpertin Ursula Heinzelmann mit ein paar Fragen zum Thema Käse „löchern“ zu dürfen. Die gelernte Köchin, Sommelière und freie Autorin arbeitet jeden Tag unter vollem Einsatz ihrer 5 Sinne, erst kürzlich erschien ihr neues Buch „Vom Käsemachen.

Liebe Ursula, wie kommt man eigentlich als Köchin und Weinexpertin zum Käse?

Das Leben kommt immer anders als geplant. Als im Jahre 1997 ein Weinhändler, für den ich damals arbeitete, eine Epicerie Fine mit Schwerpunkt handwerklicher Käse eröffnete, trat der Käse so richtig in mein Leben. In einem klimatisierten Raum wird er dort bis heute unverpackt auf Holz und Schiefer für die Kunden erlebbar gemacht. Zu gleicher Zeit habe ich mich dem Schreiben zugewandt, seit 2001 verdiene ich so mein Leben. Fasziniert von der Geschmackskomplexität des Käses reiste ich 2001 als freie Journalistin für einen FAS Artikel zum Slow Food-Käsefestival „Cheese“ nach Piemont.

Hier wurde mir die handwerkliche Käseszene so richtig bewusst, und ich besuchte auf nachfolgenden Recherchereisen nicht mehr nur Winzer, sondern auch (teils sehr abgelegene) Käser. Das war damals noch unüblich, aber das Schema war im Prinzip dasselbe: am Ende steht immer die Verkostung. Doch es gibt einen großen Unterschied: Man kann ohne vergorene Trauben leben. Man kann auch ohne Käse leben. Aber ohne Milch geht’s nicht. Das bringt einen noch viel näher an die Menschen. Verarbeitete Milch, das ist Kultur.

Es gibt ja Produkte, die man erst zelebrieren kann, wenn sie jemand erklärt hat. Unser Kampot Pfeffer gehört dazu, er muss erlebt werden, um verstanden werden zu können. Wie ist das beim Käse?

Ja, sehr ähnlich – der Groschen muss fallen. Und mit jedem fallenden Groschen klemmt ein neuer! Käse ist extrem komplex. Wirklich extrem! Man kann in so viele Richtungen schmecken, und hinter der nächsten Abzweigung tut sich direkt eine neue auf. Die Käsewerdung ist ein gradueller Prozess. Ganz viele Zusammenhänge und Vorgänge durchlaufen einzelne Aggregatstufen, da geht so viel ab – chemischer, mikrobiologischer, physikalischer Art – wir verstehen es nur ansatzweise.

Deswegen ist auch handwerklicher Käse so wichtig. Wir imitieren ja nur Vorgänge, die in der Natur sowieso ablaufen. Milch wird im Wiederkäuer-Magen fest – das ist sozusagen der Urkäse. Wenn wir also denken wir haben etwas erfunden, dann ahmen wir nur nach. Das ist wie beim Fliegen…

Bedeutet das, dass man theoretisch aus dem Magen einer Kuh Käse essen kann?

Wenn man ein junges, Milch trinkendes Tier im richtigen Moment schlachtet, dann findet man in der Tat im vierten Magen eine Masse, die fest und intensiv riechend ist. Das wurde auch von unseren Vorfahren probiert, sie fanden dort quasi ein intensive Würzpaste. Im ersten Stadium wird die Milch immer direkt sauer. Sie will sauer werden, damit sie bekömmlicher ist. Das gilt auch für uns Menschen. Dabei gerinnt sie, und die Proteine verbinden sich. Das ist wie eine Dickmilch, die erste Stufe des Urkäse. Durch das Lab, ein Enzym im vierten Magen von Wiederkäuern, geschieht das aber noch zuverlässiger.

Solch ein Käse wird nach wie vor in Sardinien produziert und nennt sich „Calle de Cabreddu“ Das bedeutet übersetzt „Zicklein lab“. Es muss also in unserer Kulturgeschichte immer jemanden gegeben haben, der das Potenzial erkannt hat, wie sich Milch zu Käse entwickelt. Der die süße Milch nicht weggeschüttet hat, als sie sauer wurde. Der sie nicht weggekippt hat, als sie dick wurde.

Aus Laiensicht ist Deutschland nicht das erste Land, an welches man denkt, wenn es um qualitativ hohe Käsekultur geht. Stimmt das?

Deutschland ist nach dem Volumen Käseproduzent an Nummer 2, nach den USA. In Deutschland geht es jedoch historisch vor allem um die effiziente Verarbeitung: Eher die Art „Hotelfrühstücksbuffet“ und nicht „Käseplatte am Abend“.

Ein Grund dafür ist, dass sich das Halten von Wiederkäuern, das Melken und die Verarbeitung zu Käse für Bauern nicht so lohnen, wie etwa Getreide, das weniger Arbeit macht und mehr Geld bringt. Etwas verallgemeinernd gesagt: Kein Bauer macht Käse freiwillig. Es gibt jedoch bestimmte Landschaften, da kann ich als Mensch nur mit Wiederkäuern existieren. Dort kann man nicht von Acker- und Felderwirtschaft leben, weil die Böden zu arm und karg sind. Wiederkäuer sind so genial in ihrer Existenz, weil sie sich ausschließlich von Grünem ernähren können. Das Pansensystem ist ein absolutes Wunder! Menschen würden verhungern, würden sie nur Grün essen. Im Idealfall leben wir in Symbiose mit Wiederkäuern.

Wenn man sich Deutschland anschaut, gibt es deshalb immer nur kleine Flecken, wo es ursprünglich Sinn machte, sich auf die Käseproduktion zu konzentrieren. Zum Beispiel im Allgäu und Schwarzwald. Hier gibt es eine lange Tradition des Alpkäses. Oder ganz im Norden an der Ostsee, wo die Marsch sehr feucht ist (ähnlich wie in den Niederlanden). Dort gibt es den Tilsiter als traditionellen Käse. Zwischen Norden und Süden ist es eher der Handkäse.

Apropos Handkäse, warum heißt der eigentlich so?

Handkäse ist ein Nebenprodukt vom Buttermachen. Butter war immer sehr begehrt und eine wertvolle Handelsware Unsere altgermanischen Vorfahren nutzten sie auch für die Körperpflege! Eine Bäuerin, die ein bisschen Geld verdienen wollte, hat gebuttert.

Wenn du Butter machst, stellst du die Milch auf, damit der Rahm sich oben absetzt. Es buttert sich einfacher, wenn das Fett sozusagen vorkonzentriert ist. Vor den modernen Kühlmethoden hat die Milch dabei langsam vor sich hingesäuert. So blieb immer viel entrahmte, gesäuerte Milch übrig. Und die ist immer noch wertvoll als Lebensmittel!

Aber im direkten Konsum nicht so vergnüglich auf die Dauer, deshalb haben die Bäuerinnen sie dick werden lassen und diese salzige, trockene Quarkmasse dann mit den Händen zu kleinen Käse geformt, der sich auch etwas länger hielt. Das ist Handkäse! Die „Musik“ (Zwiebeln und Essig) kommt dazu, damit er nach etwas schmeckt. Schließlich enthält er nur wenig Fett, ein wichtiger Geschmacksträger, daher isst man ihn auch oft mit Schmalzbrot.

Das heißt, ein Käse erzählt auch immer die Kulturgeschichte seiner Region?

Ja genau. Kein Käseklassiker ist in einer Marketing Agentur entstanden, wo überlegt wurde, wie er sich am besten verkaufen lässt. Sondern es hat immer einen Grund gegeben, warum zum Beispiel Camembert so definiert ist, wie man ihn kennt: Rund und weich, mit Weißschimmelrinde, verpackt in einer Spanschachtel. Das liegt an den damaligen Gegebenheiten in der Normandie. Dort wurde immer sehr viel Milch produziert, es gab meistens einen Überschuss.

Die Mikroflora der Landschaft hat den Weißschimmel hervorgebracht, der ist dort einfach gewachsen. Da die großen Absatzmärkte wie Paris jedoch nicht so leicht erreichbar waren, musste man für den Weichkäse eine geeignete Verpackung finden, damit der Käse den Transport übersteht. Man nahm dann das, was da war: eine Spanschachtel. Das ist bis heute so.

In Frankreich liebt man Käse

Und eine einfache Scheiblette, erzählt die auch etwas?

Ja klar, die Geschichte der Scheiblette macht die Industrialisierung sehr deutlich. Diese hat in Deutschland spät stattgefunden, erst 100 Jahre nach England, so ab 1850. Bis dahin gab es nie einen großen Überschuss an Milch.

Mit der Industrialisierung wurde auch die Landwirtschaft industrialisiert. Man hatte endlich mehr Milch, und es ging plötzlich alles sehr schnell. Zwischen 1850 und 1890 entstand das Eisenbahnnetz, bessere Kühlmethoden, es wurden effizientere Tierrassen gezüchtet – und die Ingenieure machten sich sofort an die effiziente Verarbeitung der Milch! Das ist jetzt sehr vereinfacht gesagt, aber im Prinzip erzählt die „effiziente Scheiblette“die Geschichte der Industrialisierung.

Wenn wir von effizienten Rassen sprechen: Kann ein guter Käser aus der Milch einer Industriekuh gleich guten Käse machen wie von einer Weidekuh?

Der Prozess des Käsemachens ist schon sehr wichtig. Wenn ich davon keine Ahnung habe, dann bringt mir die beste Milch nichts. Man kann aus einer beliebigen, auch pasteurisierten Milch erstaunlich guten Käse machen. Ich denke gerne in Pyramiden mit unterschiedlichen Qualitätsstufen – den großen, mittleren Bereich kann man auf vielen Wegen erreichen. Aber die letzte Spitze der Pyramide erreicht man nur, wenn ALLES stimmt.

Das kann man runterbrechen auf was die Kuh auf der Weide zuletzt gefressen hat. Die letzten Prozente erreichst du nur über die Details. Wir brauchen jedoch alles: Den erschwinglichen Käse, aber unbedingt auch die Spitze der Pyramide. Ganz oben sind immer „die Verrückten“, die werden sehr belächelt.

Gefühlt begegnet einem das Thema Käse in der traditionellen asiatischen Küche nicht, oder?

Ja stimmt, das hat mit dem Klima zu tun und dem historischen Hintergrund. Wenn du was Anderes machen kannst, machst du lieber was Anderes. Genetisch liegt auch oft bei Asiaten eine Milchunverträglichkeit vor. Vielleicht ist dir schon mal „Stinky Tofu“ begegnet. Der stinkt bestialisch aber schmeckt super lecker, wenn man sich ihm als Käse nähert. Es gibt geschmackstechnisch viele Überschneidungen. Es ist fermentiertes Protein… wie bei der Fischsauce. Und trotzdem überkommt manchen Asiaten bei Käse – verdorbener Milch! – der totale Ekel. So wie wir in unserer Kultur das Verzehren eines Hundes auch nicht gut abkönnen.

Kann man im Supermarkt guten Käse überhaupt bekommen?

Man findet überall guten Käse. Die Definition von gutem Käse ist jedoch relativ. Ich persönlich finde zu 99% immer irgendetwas, was ich gerne esse.

Wie bewahrt man Käse am besten auf?

Käse ist gar nicht zum Aufbewahren, sondern eher zum Aufessen. Wenn er nicht einzeln in Plastik verpackt ist, sondern ein lebendiger Käse ist, muss er unbedingt atmen können, darf dabei aber nicht austrocknen. Ich packe ihn sehr sorgfältig in Wachspapier ein, das Ganze lege ich in einer Papiertüte in den Kühlschrank. Nicht ins Gemüsefach, da ist es etwas zu feucht. Vor dem Genuss sollte man ihn rechtzeitig rausnehmen, damit er sich auf Zimmertemperatur erwärmen kann.

Und wie begegne ich dem Käse? Worauf achtest du bei einer Verkostung?

Ich gehe an Käse genauso ran wie an Wein. Bei einem guten Käse muss ich in alle Richtungen schmecken. Das Riechen vorher ist wichtig. Man muss den Käse mit allen 5 Sinnen erfahren und darüber nachdenken, was ihn ausmacht. Ihm „zuhören“, auf’s Mundgefühl achten. Ihn nicht einfach abbeißen, sondern eher mit der Zunge oben am Gaumen zerdrücken und dabei beobachten, was passiert. Wie fühlt er sich an? Wie ist die Rinde, wie ist sein Inneres? Schmilzt er, löst er sich auf wie Butter, oder ist er eher körnig, mehlig, trocken? Auf die Geschmacksnoten achten, süß, salzig, bitter, sauer und Umami. Wie spielt alles miteinander? Und zuletzt nochmal retro-nasal riechen, was beim Schluckvorgang passiert. Das was wir sozusagen vorne und hinten riechen, sind unterschiedliche Informationen, die sich ergänzen. Und dieser Gesamteindruck aller Sinne entscheidet letztendlich, ob ich den Käse nochmals kaufe.

Was passiert, wenn Käse reift?

Guter Käse ist eine Zeitinvestition. Am Beispiel Gouda kann man es gut erklären. Junger Gouda ist geschmacklich sehr nah an der Milch: Süßlich, salzig, leicht säuerlich und elastisch. Sukzessive wird er dann in der Textur spröder und fester und komplexer in den Aromen. Was wir Reife nennen, ist ein Zersetzen von Fett und Eiweiß, vereinfacht ausgedrückt. Protein baut sich ab zu Aminosäuren und Fett zu Fettsäuren. Dabei entstehen viele andere, aromatische Stoffe. Je nachdem unter welchen Bedingungen das Zersetzen abläuft, entsteht ein unterschiedlicher Käse.

Gewürze und kräutrige Zusätze im Käse, wie stehst du dazu?

Zunächst muss ich sagen: Alles hat seine Berechtigung und seinen Platz. Ich finde es jedoch am spannendsten, wenn die Kräuter in der Milch bereits enthalten sind, weil die Kühe sie gefressen haben. Der Käse soll die Geschichte der Region erzählen und nicht geschmacklich von einem Basilikum oder ähnlichem übertüncht werden.

Pfeffer bildet meiner Meinung nach eine Ausnahme – und das sage ich jetzt nicht, weil wir miteinander reden! Nein, Pfeffer und gereifter Käse tun etwas miteinander. Der Pfeffer überlagert nicht den Geschmack. Er ergänzt eher und führt den Käsegeschmack fort. Die Pfefferkörner sollten noch Biss haben. Schwarz passt er super zu Pecorino, der aus Schafsmilch hergestellt wird, die sehr konzentriert ist. Mittelmeerkäse reifen sehr warm und bringen eine andere Geschmacksdichte mit. Die schwarzen Pfefferkörner setzten kleine Akzente in diesem Konzentrat.

Was ist der richtige Käse für die Pizza?

Das ist auch Geschmacksache. Unter anderem aber natürlich guter Mozzarella, der aber vorher unbedingt entwässern sollte.

Welche Käsesorten gehören für dich auf eine Käseplatte? Sagen wir mal zum Einstieg ins Käseuniversum.

  • Ziegenkäse: Ein gereifter Frischkäse, weil man hier wunderbar lernen kann, wie aus festem Quark Käse mit tollen Aromen entsteht.
  • Schafskäse: Hier liegt die Erkenntnis darin zu schmecken wie anders Schafskäse ist. Schafe geben weniger Milch, aber sie ist konzentrierter. Roquefort, der Blauschimmelkäse aus Südfrankreich ist aus Schafsmilch, großartig
  • Kuhmilchkäse: Am besten ein gereifter Alpkäse, der eine Landschaft komplett abbildet.
  • Rotschmiere: wie etwa Münster, Epoisses, Limburger oder Bachensteiner.

Und würdest du auch ein Chutney oder Senf dazu empfehlen?

Nein, davon bin ich kein Fan. Ich möchte, daß der Käse im Mittelpunkt steht und mir seine Geschichte erzählt. So ein Chutney ist so dominant! Was ich bei euch entdeckt habe, ist der Tuk Meric. Diese Gewürzmischung hat mich sehr begeistert. Angerührt mit Zitronensaft ist sie deutlich dezenter. Der Käse wird da eher belebt statt übertüncht!

Gerade jetzt im Lockdown, wo kann man richtig guten Käse online bestellen?

Bei Käse mit dem Postpaket macht man natürlich Zugeständnisse durch den Transport. Aber es gibt eine Reihe von Shops, die ich wirklich empfehlen kann. Dazu zählt der Tölzer Kasladen. Die Käseecke Waltmann. Den Backensholzer Hof aus Schleswig Holstein. Den Käsefeinschmecker Kober aus Hamburg.

Wie Dank liebe Ursula, für dieses spannende Gespräch. Wir haben sehr viel dazu gelernt!

Wer noch tiefer in das Käsethema einsteigen will, dem empfehlen wir das Buch „Vom Käsemachen – Tradition, Handwerk und Genuss“ von Ursula Heinzelmann, erschienen im Inselverlag.

Buch von Ursula Heinzelmann

Foto “Käsetheke” von Elisa Michelet.

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2. Oktober 2022
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